3000 Kilometer...

Ein Fluchtweg von 2882,49 km Luftlinie von Damaskus nach Lautertal, 3800 km auf der Straße und dem Mittelmeer...

Cosmas und Damian kamen aus Syrien, wie auch unzählige Geflüchtete seit 2015 aus dem instabilen Staat in Vorderasien hierher kamen. Syrien grenzt im Süden an Israel und Jordanien, im Westen an den Libanon und das Mittelmeer, im Norden an die Türkei und im Osten an den Irak.

Aber wie fern ist uns das Syrien wirklich, das wir täglich in der Tagesschau sehen?...

In gut drei Tagen könnte man die Strecke Lautertal-Damaskus mit dem Auto zurücklegen. Adam* (sein Name ist fiktiv und steht für etwa 600.000 Menschen, die aus Syrien nach Deutschland geflohen sind, Männer, Frauen, Kinder**), Adam also machte sich im September 2015 in Damaskus auf den Weg nach El Qamishlie. Die PKW-Fahrt dorthin, 700km lang, kostete 600 Dollar.
Zu Fuß überquerte er die Grenze zur Türkei in einem 50-Kilometermarsch nach Midyat. Es gab keine Grenzkontrolle. So konnte er einen Umweg von 290 Kilometer einsparen, den ein Fahrzeug auf offiziellen Wegen gebraucht hätte. In Midyat bestieg Adam den Bus nach Izmir, 1500km und 24 Stunden lang, ermöglicht durch eine einflußreiche Schmiergeldmafia, die viel Geld verlangte.
Von Izmir ging es mit dem Boot nach Griechenland, das kostet zwischen 900 und 3000 Dollar. Das Boot bietet Platz für acht Personen, wird aber mit 40 Personen vollgepackt. Die Überfahrt dauert 12 Stunden.
In Mitilini (Mythilene) auf Lesbos kommen manche nach drei, manche nach zehn Stunden an. Von dort ging die Überfahrt weiter nach Athen, wieder für sehr viel Geld. Mit der normalen Fähre ist man 15 Stunden unterwegs.
In Athen bestieg er ein großes Schiff, das 60 Euro kostete. Die Überfahrt nach Makedonien dauerte 12 Stunden. Man kann auch fliegen, aber das ist riskant und teuer. Mit Auto oder Bus ist man für die gut 500km über fünf Stunden unterwegs.
Wieder einen Tag später und 600km weiter kam Adam mit einem UN-Bus und der Eisenbahn nach Serbien. Hier waren wieder Gelder für Schlepper fällig, und in Kroatien, nach einem weiteren Tag und fast 700km, hing er drei Tage ohne Essen ohne Zelt fest. Dabei ging es ihm besser als vielen, die in Griechenland zehn Tage und länger warten mußten. Andere Wege über Ungarn, per Bus und Zug, waren riskant. Über Slovenien ist die Einreise erst seit sechs Monaten möglich.
Wieder folgte ein Tag und 500km nach Wien. Dort saß Adam vier Tage fest. Das waren die Tage, als der Bahnhof in Wien im Belagerungszustand war und geschlossen werden mußte. Die Straßen im Grenzgebiet um Rosenheim waren verstopft von Polizeifahrzeugen: Hundertschaften von Polizeifahrzeugen.
Endlich konnte Adam aber Wien verlassen und erreichte Hannover mit dem Zug (IC), es gab keine Kontrollen. Von hier fuhr er einem Tag später nach Bielefeld. Dort griff die Polizei willkürlich Leute aus der Menge und brachte sie nach Gießen zum Erstaufnahmelager.
Die Flucht kostet insgesamt im Schnitt 2500 Euro pro Person, Schlepperdienste mußten dazu in Syrien, der Türkei, in Athen für das Visum und in Serbien gezahlt werden. Oft legen die Familien ihr gesamtes Vermögen zusammen, damit einer aus der Familie in Sicherheit gelangt. Dahinter steht die Hoffnung, daß dieser seine Frau und Kinder später nach Deutschland nachholen kann. Durch die Änderung in der Asylpolitik wird diese Hoffnung winzig. Familiennachzug kann erst 2018 beantragt werden, und täglich sind die Familien in der Heimat von Hunger, Durst und Bomben bedroht. Unterdessen schafften es andere Geflüchtete mit dem Zug von Wien nach Hamburg für nur 130 Euro und durften endlich einmal, nach zwei Wochen auf der Flucht, wieder in einem richtigen Zimmer übernachten. In Gießen trafen sie sich mit Adam.
Es folgte das Erstaufnahmelager: Massenabfertigung und Sprachprobleme sorgten dafür, daß überlastete Beamte und Dolmetscher für die meisten der Geflohenen kurzerhand als Geburtsdatum den 1. Januar ihres Geburtsjahres in die Büma (Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender) eintrugen. Dieses Datum wurde laut BAMF prinzipiell eingesetzt, wenn der Asylsuchende keine Papiere hatte.
Jenes erste deutsche Ausweispapier Büma wurde dort zusammen mit anderen vorhandenen Papieren einbehalten und eine „Bescheinigung über die Weiterleitung eines Asylsuchenden“ ausgestellt. Und so konnten am 1. Januar dieses Jahres zigtausende Flüchtlinge in Deutschland Geburtstag feiern können, obwohl das Datum meistens nicht stimmt.

* Adam: dieser Name erscheint passend, denn für die meisten Geflüchteten kommt ihr Weg der Vertreibung aus dem Paradies gleich. In der arabischen Welt lautet der Name Adham.

** Quelle: https://mediendienst-integration.de/migration/flucht-asyl/syrische-fluechtlinge.html, Stand August 2016

Marieta Hiller, im Oktober 2016