Die Marmorbrüche von Carrara

Ein Reisebericht von Mick Schäfer, Fotograf. Zu seiner Seite mit weiteren Infos, Ausstellungsterminen und Geschenktipps auf odenwald-redaktion kommen Sie hier.

m Herbst war ich in Carrara und wollte zu den Marmorbrüchen in der Nähe, ein Kindheitstraum der endlich wahr wurde...
Ein Geologe den ich dort zufällig traf hat mich mit ins Innere eines Berges genommen. Gradios!!

Wechselvolle Geschichte der Region

Wechselvoll ist die Geschichte unserer Heimatregion: Alle hatten ein Wörtchen mitzureden...
... nur die Bewohner nicht...

Vom heiligen römischen Reich Deutscher Nation über das Großherzogtum Hessen-Darmstadt zum Bundesland Hessen; vom Katholizismus zum reformatorischen, lutherischen oder evangelischen Glauben - die Wechsel im Odenwald fanden oft mehrmals innerhalb weniger Generationen statt. Die Einwohner, damals noch Untertanen genannt, hatten stets die Religion ihrer Herrschaft anzunehmen. Noch bis 1813 herrschte die Leibeigenschaft. Man konnte nicht einfach heiraten wen man wollte und nicht dorthin ziehen wo es einem gefiel.

„Es hat sich noch niemand arm geschenkt“...

Als ich mich mit verschiedenen Menschen unterhielt auf der Suche nach Hintergrund-Infos zur Blaufarbenfabrik Lautern, zum Kupferbergwerk Reichenbach oder zum Modautal-Eisenbahnbau, war ich auch zu Gast bei einer 94 Jahre alten Dame, die aus Raidelbach stammt. Sie hat ein Familienbuch, in das sie alle Geburten und Sterbefälle einträgt. So konnte sie mir über ihren Urgroßvater Heinrich Mink (*um 1850) berichten, der ab 1880 als Aufseher in der Blaufarbenfabrik tätig war. Das hatte ihr eine Großtante erzählt, die Direktorin der Bensheimer Post war und nach der Devise lebte „Wenn man so [vornehm] nicht essen will, kann man ja gleich zu den Kühen im Stall gehen“. Sie war recht vornehm, täglich kam das gute Geschirr auf den Tisch, sie trug immer gepflegte Kleidung, und die Schürze wurde nicht angezogen, sondern vorgelegt.
Heinrich Mink ist verwandt mit den Reichenbacher Minks, die nach den Erinnerungen der alten Dame einst von drei Russen abstammten, die im 18. Jahrhundert nach dem Krieg in Reichenbach blieben und ihren Namen in Mink änderten.

„Man kann ja keins mehr fragen“

Da die alte Dame gerne ohne Namensnennung bleiben möchte, nenne ich sie K.
Ihre Mutter Margarethe stammt aus Gadernheim und ist als uneheliches Kind in der Villa der Blaufarbenfabrik Lautern geboren. Später heirateten die Großeltern von K. aber doch noch, obwohl der Philipp dem Urgroßvater Heinrich Mink nicht gut genut war. Margarethe und Philipp hatten viele Kinder. Philipp stammt aus Bayern, war orthopädischer Schuhmacherr und starb 1935. Drei Jahre später starb seine Schwiegermutter, die Urgroßmutter von K. und Ehefrau von Heinrich Mink.

Vor dem 1. Weltkrieg kamen viele Steinhauer aus Bayern, weil dort große Arbeitslosigkeit herrschte, so weiß K. zu erzählen.

K. brachte als Zehnjährige, also um 1937, dem Vater jeden Tag das Mittagessen zum Hohenstein. Der Vater arbeitete drei Jahre „am Kunkelmann“ und brachte den Kindern immer grüne und blaue Steine mit. K.s Bruder war der in den 1980er Jahren bei uns Jugendlichen sehr beliebte Dreschers Adam, wo wir am Wochenende immer Ebbelwoi und Flaschenbier getrunken haben. Eine Schwester von K. lebt noch, sie ist 97 Jahre alt.

K.s erster Mann war ein Götzinger, er war 35 Jahre älter als sie und während des Krieges Ortsbauernführer in Raidelbach. Sein Hof hatte 94 Morgen Feld. Im Krieg war er lange inhaftiert: beim Fliegerabschuß am Hohberg Elmshausen landete ein junger Soldat mit dem Fallschirm auf dem Heidenberg, Götzinger und sein Nachbar brachten ihn zur Verwaltung im Rathaus Gadernheim. Da der Soldat aber Blut im Schuh hatte, wurde Mißhandlung durch die beiden Raidelbächer unterstellt. Erst nach 28 Monaten wurden die beiden durch den jungen Soldaten entlastet und entlassen. Da war seine 1. Frau schon ein Jahr tot, und er selber verstarb nicht lange nach der Heirat mit K. 1954.

1960 zog K. nach Brandau und heiratete erneut, einen Flüchtling aus dem Böhmerwald. Er starb mit 53 Jahren.

K. war Zeit ihres Lebens arm und sagt nun mit 94 Jahren doch von sich, daß es ihr nie so gut gegangen ist wie jetzt. Sie ist rüstig, putzt und kocht selbst, strickt wunderschöne gemusterte Sachen, und ißt sehr viele gekochte Eier. Sie hatte in ihrem Leben 26 Putzstellen, ließ sich aber nicht selbst zum Putzlumpen machen, das ließ ihr Stolz nicht zu.

„Der Wohlstand hat uns Haß Neid und Streit gebracht...“

Woher das Wort Abkupfern kommt...

Manch einer schafft es, seine Spuren zu verwischen: so war von einem Lithographen des 19. Jahrhunderts bislang kaum mehr als der Name van Hove und der Arbeitsort Offenbach bekannt. Spannend ist  im Beitrag von Johann Heinrich Kumpf (derselbe, der auch das Buch des Dr. Klein von 1754 neu herausgab) dargelegt, wie die Vornamen des geheimnisvollen van Hove ans Licht kamen. Noch spannender aber ist die Geschichte, wie früher mit dem geistigen Eigentum anderer umgegangen wurde: „Abkupfern“ nennt man das auch. Abkupfern kommt aus dem Druckwesen: ein Autor fertigte zunächst eine Zeichnung oder Skizze an, die anschließend vom Kupferstecher zu einer Druckplatte gemacht wurde: seitenverkehrt stach der Kupferstecher alle Linien nach, danach konnten von der Platte beliebig viele Abzüge gedruckt werden. „Mein lieber Freund und Kupferstecher“ war also jemand, der Plagiate anfertigen konnte, Abzüge ohne Copyright.

Herbstfunde: ehemalige Grabsteine in der Landschaft

Herbstfund: als die hohen Brennesseln am Wegrand abgestorben sind, tauchte - wie jedes Jahr - dieser zerbrochene Grabstein wieder auf: ein Mahnmal für unsere Vergänglichkeit, aber auch  Zeugnis für die einst rege Steinbearbeitungsindustrie vor Ort. Trotzdem bleibt das Gefühl: dieser Stein an diesem Ort ist pietätlos der Verstorbenen gegenüber.

Was wir über das Wilde Heer und den Rodensteiner wissen...

Der Dichter Werner Bergengruen lebte eine Zeitlang in Lindenfels und sammelte Odenwälder Sagen - vor allem gruselige. Der Rodensteiner und das Wilde Heer faszinierte ihn besonders. Wenn ein Krieg sich ankündigte, so hörte man früher in der Nacht, als die Stuben noch von Kien und Kerzenlicht erhellt wurden, das Wilde Heer vom Schnellerts durch den Haalhof ziehen. Heute ruht im Wald still die Ruine der Schnellertsburg, und auf dem Haalhof rasseln allenfalls Kühe mit Ketten.

Von Irrlichtern und schlechter Luft

„Daß von Grabstätten und Kirchhöfen häufige Dünste in die Höhe steigen, das beweisen unter andern die an solchen Orten gewöhnlichen Lufterscheinungen, z.E. das dumme Feuer oder Irrwisch. Und daß dergleichen ganz subtile Dünste, die nicht alle Menschen oder Tiere, sondern nur diese und jene ganz besonders empfinden können...“
Das schrieb Amtsarzt Dr. Ludwig Gottfried Klein im Jahre 1754 in seinem Buch über die Odenwälder "...statt des Confekts fressen sie eine gute Portion Kartoffeln...

Darmstadt unter dem rosa Winkel

Wie man als Homosexueller im 20. Jahrhundert lebte: Darmstadt unter dem rosa Winkel

Man sollte meinen, daß mit dem Kriegsende 1945, mit dem Ende der Nazigewaltherrschaft, auch die NS-Gerichtsbarkeit außer Kraft gesetzt wurde. Die Aliierten übernahmen alle Funktionen und strukturierten Behörden und staatliche Einrichtungen neu.
Einige Paragraphen aus der alten Gesetzgebung wurden jedoch noch für lange Zeit weiter angewendet. Wer aufgrund des Paragrafen 175 in Haft war, blieb es weiterhin. Die Nationalsozialisten hatten ein perfides Mittel, um wehrfähige Männer von Straftaten abzuschrecken, die auf diese Weise von der Front ins Gefängnis wollten: sie wurden zwar in Haft verwahrt, ihre eigentliche Strafe war jedoch erst nach Kriegsende abzubüßen.

Der Chaisenweg: eine hochherrschaftliche Art zu reisen

Als man fürstlicherseits noch in die Sommerfrische reiste, anstatt eine "Spritztour" oder einen Ausflug in die Natur zu machen, gab es in den Wäldern um uns herum zahlreiche Plätze, die heute fast unbekannt sind.
Um die vorletzte Jahrhundertwende entstanden diese Orte der Lustbarkeit für Adelsangehörige: Jennis Höhe bei Breitenwiesen, die Elisabethenruhe und die Ferdinandenhöhe bei Reichenbach zum Beispiel.

Elektrifizierung in Stadt und Land

Lange nachdem laut Schöpfungsbericht das "Es werde Licht" erscholl, lernten die Menschen ihre Wohnhöhlen und später Häuser zu erleuchten. Brennende Holzspäne, Öllampen, Kerzen sorgten ordentlich für Feinstaub.

Um 1860 gab es Petroleumlampen mit Öl aus Rumänien. 1866 erfand Werner v. Siemens die Dynamomaschine, damit konnte elektrischer Strom erzeugt werden. Thomas A. Edison (und andere!) erfand dazu 1879 die Glühbirne, die ersten Hochspannungsleitungen wurden 1882 gebaut. 1891 gelang die erste Drehstromübertragung durch den Odenwald: von Lauffen am Neckar bis Frankfurt durch Eberbach entlang der Odenwaldbahn bis Hanau.

Vom antiken Lärmfeuer bis zu 5G

Vom antiken Lärmfeuer bis zu 5G: Fernübertragung von Information zu zivilen und militärischen Zwecken

Wer wichtige Information schnell und zuverlässig über weite Entfernungen übermitteln kann, hat den Fortschritt in der Hand. Wer nur auf reitende Boten zurückgreifen kann, schafft eine Informationsweitergabe mit maximal 300 km pro Tag (mit mehreren Pferdewechseln). Wer heutzutage einen Brief mit der Post verschickt, bekommt ihn mit etwas Pech vier Wochen später als unzustellbar zurück - und das obwohl die Adresse korrekt war. "Meine Herren, diese 28.000 Landbriefträger machen täglich einen Kreislauf von 560.000 Kilometern - das ist vierzehnmal der Umfang der Erde!" Ausspruch von Ernst Heinrich Wilhelm Stephan 1896 zur Leistung der Briefträger. Stephan (1831-1897) war u.a. deutscher Generalpostdirektor des Deutschen Reiches.

Die Wehrkirche in Nieder-Beerbach

Auf dem höchsten Punkt des alten Ortskerns von Nieder-Beerbach steht die Kirche: erbaut wurde sie um 1404 anstelle einer älteren Kirche, die mutwillig zerstört worden war.

Kriegsende im Lautertal

In den Onlinebriefen des Verschönerungsvereins Reichenbach erschien 2015 ein mehrteiliger Beitrag von Heinz Eichhorn über das Kriegsende in Reichenbach. Da die Onlinebriefe leider nicht mehr online sind, veröffentlichen wir an dieser Stelle diesen Beitrag.

Im letzten Kriegsjahr kam es in Lautertal zu mehreren Abschüssen von Militärflugzeugen oder zu Notlandungen, wie hier auf der Höhe zwischen Lautern und Brandau. Repro Heinz Eichhorn
Lesen Sie dazu auch: Der Lancaster-Absturz im Neunkircher Wald und Tagebuch: Kriegsende in Gronau

Zwei Tote gab es vor dem Einmarsch der amerikanischen Armee vor 70 Jahren in Beedenkirchen. Wie der evangelische Pfarrer Rudolf Wintermann in seinem jetzt wieder entdeckten Tagebuch schreibt, wurden ein
amerikanischer Soldat auf der Flucht sowie der Schmal-Beerbacher Bürgermeister Beutel erschossen.
Eigentlich wollte Pfarrer Wintermann am Palm-Sonntag 1945 in Darmstadt predigen. Aber er kam nicht in die Stadt, „die Partei hatte sie verbarrikadiert“, schreibt er. Außerdem wollte er gerade jetzt die Gemeinde nicht verlassen. „Die Leute waren überall in Unruhe, die tollsten Gerüchte gingen um“. Deshalb hatte er auch zwei Tage vorher für diesen Tag in Beedenkirchen Konfirmation angesetzt. Am Freitag, 23. März, wurde der Volkssturm einberufen, mit ihm auch der Vater des Konfirmanden Willi Reimund. „Aber der Volkssturm war am Abend schon zurückgekehrt, weil keine Uniformen da waren, sie seien gestohlen worden‟.
Morgens um halb sieben Uhr zog Wintermann von Reichenbach los nach Beedenkirchen. Der erste, der ihm in Beedenkirchen über den Weg lief, war Glöckner Roß: „Herr Pfarrer, es ist keine Konfirmation. Das ganze Pfarrhaus ist voll Soldaten. Die Frau Pfarrer Haugen hat's auch gesagt.‟ Ich brüllte ihn an: „Herr Roß, wer ist hier der Pfarrer, Sie oder Frau Haugen oder ich? Ich bestimme, ob Konfirmation ist oder nicht. Kommen Sie mit!‟ Im Pfarrhaus ließen sich zwölf Soldaten verpflegen, die aber wohl kaum mehr an Kampf dachten. „Die Frau Pfarrer, eine tapfere, resolute und feine Frau, Witwe, deren Mann im Juli 1943 gefallen war, eine Frau, die Herz hat und wirklich Pfarrfrau ist, hat nichts gesagt. Nur ihrem Jungen, Helmut, der mich empfängt mit den Worten: „Aus unserm Keller wird geschossen‟, hat sie eine Ohrfeige herunter gehauen. Ich sage dem Glöckner: „Also, Herr Roß, es wird konfirmiert.‟

„Herr Pfarrer, ich laufe nach Haus zu meiner Familie.‟
„Laufen Sie nur, Sie Bankschisser, dann läute ich selbst.‟ Ich war dann noch bei zwei Konfirmanden-Eltern, ruhige Leute. Sie waren ganz meiner Meinung. Ich habe dann noch einmal vorgeläutet. Mit einer Viertel-
stunde Verspätung begann ich das eigentliche Läuten. Frau Schwinn, eine feine, tapfere Bauernfrau, nahm es mir ab. Talar angezogen und dann durch die Kirche eingezogen. Allgemach spazierten dann auch noch unsere zwei Kirchenvorsteher, die sich aufgerafft hatten, heran. Schließlich auch noch der Glöckner, während der Bälgetreter ausblieb. Auch Gemeindemitglieder waren wenig da. Außer den Konfirmanden mit Angehörigen und wenige tapfere und gläubige Seelen. Aber dann verlief die Konfirmation ungestört in aller Ruhe. Die Kinder und die Gemeinde waren wirklich dabei. Und vielleicht schreibt sich das Erleben dieses Tages tiefer in ihre Seelen, als wenn es eine „Friedenskonfirmation‟ gewesen wäre mit dem, was alles an Unnötigem ganz dazugehört.“

Nach der Konfirmation hörte die Kirchengemeinde die ersten amerikanischen Panzer, die eine Rundfahrt von Ober-Ramstadt über Nieder- und Ober-, sowie Schmal-Beerbach, Wurzelbach, Allertshofen, Hoxhohl, Ernsthofen, wieder nach Ober-Ramstadt gemacht hatten. Sie sah auch den Staub, den sie aufwirbelten, und dachte, dass sie jeden Augenblick nach Beedenkirchen kämen, doch sie ließen es bei dieser Demonstration bewenden.

In Beedenkirchen hielt Pfarrer Wintermann (rechts) dann noch zwei Taufen, mittags sogar noch eine Trauung. Er besuchte noch sämtliche Konfirmanden in ihren Häusern und „erlebte so alle Grade der Kriegsspannung, der Müdigkeit und der Begeisterung, der Furcht und der richtigen Geborgenheit mit“. Zwei Tote brachte dann der Tag doch noch, einen Amerikaner und den Bürgermeister Beutel von Schmalbeerbach. „Mittags ging das Gerücht, es seien zwei Amerikaner im Dorf und suchten nach Waffen. Sie seien in der Wirtschaft Speckhardt. Bald tauchten dann sechs von unseren Soldaten auf von der
Gruppe, die sich auf dem Rücken zwischen Reichenbach und Beedenkirchen gesammelt hatte und suchten nach den Amerikanern. Sie fanden ihren Panzer in Wurzelbach, sprengten ihn, fanden dann auch die Amerikaner, einen nahmen sie gefangen, den anderen, der flüchtig ging, erschossen sie.“
„Als sie mit dem Gefangenen in einem Raum in Schmalbeerbach waren, kam der Bürgermeister Beutel herein, ging aber gleich wieder heraus. Da sie ihn für einen anderen, nämlich den „Kölner‟ hielten, schossen sie auf ihn und trafen ihn tödlich. Dieser „Kölner‟, Schmitz mit Namen, ein widerwärtiger Geselle, hat sich in Schmalbeerbach eine Baracke gebaut und machte Lastautofahrten. Er freundete sich mit der SS an, fuhr auch deren Waffen an den Platz am Friedhof, wo sie weggeworfen wurden. Dafür rückte dann die SS mit seinem Auto ab.“
 
„Dann aber biederte er sich mit den Amerikanern an, zeigte ihnen den Waffenplatz und wurde so zum Verräter. Als ihm die Luft zu mulmig wurde, wechselt auch er wieder Beutel musste für ihn sterben. Er ist in Oberbeerbach beerdigt, der Amerikaner in Beedenkirchen.“
Abends, als es dunkel war, kam Pfarrer Wintermann ungehindert zurück nach Reichenbach. Dort war alles noch „ruhig‟. Die US-Amerikaner sollten erst am Dienstag, 27. März, nachmittags in Reichenbach einmarschieren.
 
Einige Fanatiker meinten auch noch am 27. März 1945, wenige Tage vor Kriegsende, den US-Amerikanern Widerstand entgegensetzen zu müssen. Die Folge: Die US-Armee wurde einen Tag aufgehalten und
in Gadernheim starben neun Zivilisten und drei Soldaten einen sinnlosen Tod.
Einer der ersten Lautertäler, der die Amerikaner kommen sah, war Mario Rheinfurth (Bild links). Der Sohn des Reichenbacher Pfarrers, späterer Physiker und Mitarbeiter von Wernher von Braun in den USA, war zum Besuch bei seinem Großvater in Schönberg. Dort hörte er schon die aus Bensheim heranrückenden Panzer und wollte mit seinem Fahrrad noch schnell nach Hause.
Doch am Steinmetzbetrieb Dassel kurz vor Wilmshausen holten ihn die Truppen ein. Der Lenker des vorausfahrenden Jeeps hielt ihn an und fragte nach dem Woher und Wohin. Als er in seinem noch nicht
ausgereiften Schulenglisch sein Problem schilderte, durfte er sich mit dem Fahrrad an den Jeep hängen. Doch am Ortsausgang von Wilmshausen kam es zu einem „Scharmützel“ mit einigen versprengten deutschen Soldaten. Rheinfurth suchte mit seinem Fahrrad hinter dem ersten amerikanischen Panzer Deckung vor deutschen Kugeln.

In Reichenbach sah Else Roth aus ihrem Haus am Dorfeingang die US-Truppen kommen. Die heute (2015) knapp 92-jährige, die kürzlich noch ein Folk-Konzert ihres Sohnes in Winterkasten besuchte, erinnert sich noch genau an diesen Dienstag, auch weil sie viele Details fein säuberlich in ihrem Tagebuch festgehalten hat.
„Es waren lange Tage, als wir wussten, dass sie kommen und doch nicht wussten, was wird“, beschrieb sie die Zeit vor dem Einmarsch. Dieser kündigte sich durch Artilleriebeschuss an.
Zum Glück für die Reichenbacher zielten die Amerikaner nicht so genau. Nur das Elternhaus zweier Gründungsmitglieder der örtlichen NSDAP in der „Straße der SA“ wurde stark beschädigt.

Menschen hat der Beschuss keine gefordert, unser Dörfchen steht Gott sei Dank noch“, schrieb Else Roth in ihr Tagebuch. Dies auch, weil nach Wilmshausen ebenfalls die am Kernberg liegenden deutschen Soldaten schnell in die Flucht geschlagen werden konnten.
Das war in Gadernheim nicht so. Dort leistete eine Gruppe von Soldaten Widerstand. Um den zu brechen, zogen die Amerikaner sechs Artillerie-Kanonen auf der Nibelungenstraße, dem TSV-Sportplatz, Falltorweg und Kernberg auf. Die US-Soldaten wurden in den besetzten Häusern der Familien Roth, Mink, Knaup, Pappert, Dr. Baunach und Laut einquartiert. „Wir haben es gut getroffen“, schrieb Else Roth in ihr Tagebuch, „vier Mann schlafen in der Scheune auf Stroh und auch sonst können wir nicht klagen.“
Nach dem Beschuss Gadernheims die Nacht hindurch war am nächsten Morgen der Widerstand gebrochen, neun Menschen starben, die amerikanischen Truppen zogen weiter in den Odenwald. Wenige Tage später kam dann die Nachhut „mit vielen Fahrzeugen und Soldaten“. Auch jetzt wurden wieder die ersten Reichenbacher Häuser besetzt, ihre Bewohner mussten sie verlassen und bei Verwandten oder Bekannten unterkommen.
Die Zentrale der US-Truppen im Tal war dann über drei Monate hinweg das Gasthaus „Zur Traube“. Von dort aus wurden die neuen Bürgermeister der Dörfer im Lautertal bestimmt und
eine „Großbürgermeisterei Reichenbach“ eingerichtet. Sie war in den Anfangsjahren verantwortlich für die einzelnen Dörfer, deren Zusammensetzung nahezu identisch war mit der späteren „Großge-
meinde Lautertal.“